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Teil I: Von Stadtjuden zu Landjuden

Am Ende des Heiligen Römischen Reiches 1806 lebten etwa 90 Prozent der deutschen Juden als Kleinhändler und -zinser, als Vieh- oder Trödelhändler, als Hausierer und Schmuser, als weitgehend marginalisierte Unterschicht. Nach fünf Jahrhunderten der Vertreibung aus den Städten fanden sie sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts in zersplitterten Siedlungsgebieten wieder.

Vorausgegangen waren Vertreibungen wegen „Ritualmords“, „Brunnen-vergiftung“ der Halsstarrigkeit, sich nicht taufen zu lassen und der Schwäche der Kaiser, die ihre Kammerknechte nicht beschützen wollten, wenn sie Stimmen der jeweiligen Fürsten zu ihrer Wahl benötigten. Zudem hatte Kaiser Karl IV. sein Recht an jüdischen Abgaben gegen ihren Schutz nach der ersten Pestwelle auf die Kurfürsten übertragen. Und von diesen gingen die „Judenregale“ -je nach Geldbedarf der Kurfürsten – auf die Stadt- und Landesherren über.

Mit dem Erstarken der christlichen Zünfte, die in den Juden schon immer Konkurrenten gesehen hatten und der Lockerung des Zinsverbots für christliche Kaufleute gerieten die starken jüdischen Gemeinschaften der Städte ins Wanken.
1385 erlaubte König Wenzel, gegen eine Zahlung von 40 000 Gulden, 37 Städten, die Zinsschulden der Fürsten bei Juden auf eigene Rechnung einzuziehen. Darüber hinaus erhielten sie das Recht auf die Hälfte der anfallenden Judensteuern. Damit wurden die Fürsten Schuldner der Städte.
Mehrere Zinserlasse und darauf folgende Vertreibungen nahmen ihnen die ökonomische Basis. Sie wanderten entweder in andere Länder aus oder in die umliegenden Orte, die reichs- bzw.  adelsherrschaftlichen Gebiete weiter.

Die dortigen Territorialherren, auch die geistlichen, nahmen die Juden zunächst recht gern als Geldquelle auf. Und schoben sie wieder ab, nachdem diese Quelle wegen Kapitalschwunds versiegte. Denn mit kleinem Kapital konnte man nur kleine Geschäfte mit der Mittel- und Unterschicht machen. Und am Land setzte sich der Kundenkreis zumeist aus Bauern zusammen, die ihre kommende Ernte verpfändeten. Aus dem Pfandhandel erwuchs der nächste Konflikt. der wiederum zu verordneten Zinserlassen und Vertreibungen führte.

Um 1550 sind größere jüdische Gemeinschaften aufgelöst, enge und teure Zuzugsbestimmungen an den einzelnen Orten reißen Familienverbände auseinander. Aufenthaltsrechte von drei bis sechs Jahren zwingen zum Weiterziehen. Niederlassungsrechte finden sich nur noch in kleinen und kleineren Herrschaften oder Zwergfürstentümern, die nur kleine Geschäftsmöglichkeiten bieten. Es beginnt das Umherreisen zum Zweck des Lebensunterhalts. Und so wird es für die nächsten drei Jahrhunderte bleiben.